Gloria Withalm

Der Blick des Films auf Film und Kino. Selbstreferentialität und Selbstreflexivität im Überblick


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Paper:
"Film über/im Film. Selbstreferentialität und Selbstreflexivität im Überblick"
Conference: 8. Kommunikationswissenschaftliche Tage (19-20 November 1998; Salzburg, Österreichische Gesellschaft für Kommunikationsfragen)

Publication:
"Der Blick des Films auf Film und Kino. Selbstreferentialität und Selbstreflexivität im Überblick".
In: Latzer, Michael (Hg.) (1999). Die Zukunft der Kommunikation. Phänomene und Trends in der Informationsgesellschaft. Innsbruck-Wien: Studien-Verlag, pp. 147-160


Aprile; An Alan Smithee Film: Burn, Hollywood, Burn; Boogie Nights; Scream 2; Wrongfully Accused - eine willkürliche Auswahl von Filmen aus 1997 oder 1998, die trotz der höchst unterschiedlichen Genres und Erzählweisen eine Gemeinsamkeit haben: Sie alle zählen zu jener spezifischen Gruppe von Filmen, die auch Film selbst thematisieren. Die große Zahl von selbstreferentiellen Filmen innerhalb des letzten Jahrzehnts suggeriert, daß es sich um ein rezentes Phänomen handelt (in der Tageskritik wird dazu häufig das Epitheton postmodern verwendet). Aber ein Blick auf die Geschichte zeigt, daß der Verweis auf das eigene Medium fast so alt wie der Film selbst ist. Seit den frühesten Tagen der Filmgeschichte begegnen wir Filmen, die Geschichten über ihre eigene Welt, über das eigene Medium erzählen, so verschieden diese Filme auch sein mögen in bezug auf ihre Handlung, den Stellenwert der selbstrefentiellen Sequenzen für die Geschichte des Films, die verwendeten filmästhetischen Mittel. Mein Beitrag versteht sich als Überblick zu diesem Phänomen quer durch die Filmgeschichte und alle Genres als Skizze zu Formen und Inhalten der Selbstreferentialität im Medium Film.

Film im und über Film

Gemessen an der Zahl der literaturwissenschaftlichen Arbeiten zur Selbstreferentialität und damit verbundener Phänomene (insbesondere der Intertextualität) erscheint die filmwissenschaftliche[1] Beschäftigung rein quantitativ vergleichsweise bescheiden, trotzdem würde eine Darstellung der Publikationen und ihrer Konzepte den Rahmen sprengen. Ich beschränke mich daher auf einige bibliografische Hinweise auf Veröffentlichungen, die von einer eher lexikalischen Aufarbeitung über Einzelanalysen bis zur genuin filmtheoretischen Arbeit reichen: Ames (1997), Anderson (1978), Block de Behar (1984), Blüher (1988; 1994); Brunsdon & Morley (1978), Feuer (1983), Gerstenkorn (1987), Horton & McDougal (1998), Metz (1991), Parish (1978), Schaefer (1985), Schleicher (1991), Stam (1983; 1985).

Zur Vereinfachung habe ich einleitend vom "Medium Film" geschrieben. Um meinen theoretischen Bezugsrahmen anzudeuten, ziehe ich jedoch "Zeichensystem Film" vor. Allerdings folge ich nicht jener Sicht, in der das Konzept des "Zeichensystems" mehr oder weniger mit "Code" gleichgesetzt wird, sondern der sozio-semiotischen Theorie von Ferruccio Rossi-Landi, der mit einem wesentlich erweiterten Konzept gearbeitet hat:

Un sistema segnico comprende almeno un codice, cioè i materiali su cui si lavora e gli strumenti con cui si lavora; ma comprende anche le regole per applicare i secondi sui primi (il locus delle regole è duplice: esse stanno in qualche modo anche nel codice, ma ancor più stanno in chi lo adopera), i canali e le circostanze che permettono la comunicazione, e inoltre gli emittenti e riceventi che di quel codice si servono. Un sistema segnico comprende dunque anche tutti i messaggi che si scambiano e si possonon scambiare all'interno dell'universo che il sistema stesso istituisce. (Rossi-Landi 1985, 242)

Diese Definition wird sowohl der Pluralität von Codes gerecht, die wir bei jedem einzelnen filmischen Text zu beachten haben, als auch der gesamtheitlichen Sicht von Film, die stärker am französischen Begriff "cinéma" orientiert ist als am deutschen "Film". Die Einbeziehung der zeichenproduzierenden bzw. zeichenkonsumierenden Agenten, aller Botschaften und der Codes liefert auch die Basis für jene Gliederung, die ich für diesen Überblick gewählt habe.

Ausgangspunkt für den Aufriß der verschiedenen Felder der Selbstreferentialität und ihrer filmischen Formen sind all jene Bereiche und Stationen, die Film konstituieren: von der Produktion eines Films über seine Distribution bis zur Konsumtion im Kino oder im Fernsehen, einschließlich des Produkts Film selbst (Abb. 1). Die Beispielsammlung zur oberen Hälfte des Schemas reicht daher von der Motivgruppe "Film im Film" - wohl die bekannteste Form der Selbstthematisierung - bis zum Kino als Ort der Filmbetrachtung. Die filmische Referenz auf das Produkt Film erfolgt über Bezugnahmen auf Filmgenres oder Epochen der Filmgeschichte, über Anspielungen auf bekannte Szenen oder tatsächliche Zitate (im Sinne von einmontierten clips aus Filmen), aber auch über die bewußte Thematisierung von filmästhetischen Mitteln. Danach wende ich mich der unteren Hälfte des Schemas zu, die - wieder basierend auf dem Grundraster - jene spezifische Gruppe von Filmen beinhaltet, die weit über eine bloße Referenz auf das Mediumhinausgehen: selbstreflexive Filme, die in bestimmten Momenten des Diskurses tatsächlich sich selbst thematisieren und die Aufmerksamkeit der ZuschauerInnen mit verschiedenen filmischen Mitteln auf diesen Film selbst lenken


Abb. 1:Felder der filmischen Selbstreferentialität

Die Felder der Selbstreferentialität

Im Folgenden werde ich für jedes der Felder einige Hauptmotive und Filmbeispiele nennen, wobei ich aus Platzgründen nur "exemplarisch" und stichwortartig vorgehen kann. Wenn wir einer textanalytischen Unterscheidung folgen, so bewegen wir uns bei den ersten drei Stationen eher auf der Ebene der erzählten Geschichten, während die Referenz auf das Produkt auch die Diskursebene miteinbezieht. Weiters ist anzumerken, daß die Felder eine arbeitshypothetische Gliederung darstellen, um die Motive und Verfahrensweisen einzelner Sequenzen herauszuarbeiten, und keine trennscharfen einander ausschließenden inhaltsanalytischen Kategorien. Der einzelne selbstrefentielle Film ist fast immer mehreren Felder zuzuordnen.

Selbstreferentialität und Produktion, oder: Die Welt des Films

Wie auch bei allen folgenden Gruppen sind Umfang und dramaturgische Relevanz der selbstreferentiellen Textteile sehr unterschiedlich. Es gibt z.B. kaum eine Krimiserie, die nicht mindestens eine Episode in der Filmwelt ansiedelt (und am beliebtesten ist hier das Motiv Mord am Set). Wir werden uns daher auf Filme beschränken - häufig unter den Titel Hollywood on Hollywood subsumiert -, in denen Produktion als zentrales Handlungsmomente anzusehen ist. Dabei sind zwei Subbereiche zu unterscheiden, die allerdings auch in ein und demselben Film eng verzahnt sein können.

Die Welt des Films, oder: Personen und Institutionen -- Vorrangig sind hier biografisch orientierte Filme anzuführen , die uns Geschichten über Leute erzählen, die nicht nur als SchauspielerInnen für den Film arbeiten. Die Bandbreite der vertretenen Berufsfelder (Produktion, Regie, Kamera, Ausstattung, Drehbuch, Musik, ...)[2] ist ebenso groß wie die dargestellten Zeitspannen (von wenigen Tagen bis zum ganzen Leben). Dieser angebliche Blick hinter die Kulissen der Industrie auf das Leben der Menschen zählt bereits seit den 10er Jahren zum fixen Bestandteil des Filmschaffens[3] und viele Motive sind eng mit dem Mythos des Stars verbunden.[4]

Die Filme des zweiten Subbereichs erzählen von einer konkreten Produktion, vom Filmen des Filmens eines Films. Dieses Handlungsmotiv ist noch älter als das vorher genannte: 1908 wurde der Kurzfilm Making Motion Pictures: A Day in the Vitagraph Studios gezeigt, der das Entstehen eines Films zeigt und am Ende das fertige Produkt präsentiert. Die Dreharbeiten selbst sind zweifellos der häufigste Handlungskontext[5], wir finden aber auch Beispiele für die anderen Vorbereitung eines Films[6] und die Postproduktionsphase[7].

Selbstreferentialität und Distribution, oder: Von Festivals und Filmpreisen

Zu diesen Bereich zähle ich nicht nur Filme, die Verleihinstitutionen in die Handlung einbeziehen, sondern alle Verweise, die den Austauschsektor im weiteren Sinne zum Gegenstand haben, also auch filmbegleitende Publikationen, Werbung und Bewertungsinstanzen vom einzelnen Filmkritiker über Festivals bis hin zum Academy Award.[8]

Selbstreferentialität und Konsumtion, oder: Es geschah im Kino

Mit dieser Kategorie sind wir bei den zwei ältesten Beispielen für selbstreferentielle Filme angelangt. Beide Filme - The Countryman and the Cinematograph (Robert-William Paul, UK 1901) und Uncle Josh at the Moving Picture Show (Edward S. Porter, USA 1902) - zeigen die Reaktionen von Kinoneulingen auf das Leinwandgeschehen, das für Realität gehalten wird: sie laufen vor dem einfahrenden Zug davon oder versuchen der Filmheldin zu Hilfe zu kommen (Godard hat in seinen Carabiniers, CH/F 1962, eine szenische Anspielung auf Interaktionsversuche eines Zuschauers mit dem Film auf der Leinwand integriert).

In einer groben Zweiteilung können die Bereiche Kino (als zentraler Handlungsort und als Arbeitsplatz)[9] , Publikum und die jeweilige Vorführung eines Films[10] unterschieden werden. Einen seltenen Sonderfall stellen jene Filme dar, in denen die beiden Handlungsuniversen ineinander übergehen, also die Trennung zwischen der Welt der Zuschauer und der Welt des Films im Film teilweise aufgehoben wird.[11]

Selbstreferentialität und das Produkt Film, oder: Die großen Vor-Bilder

Wie erwähnt, erfolgen die produktorientierten Verweise sowohl über (und auf) alle filmischen Gestaltungsmittel - Kostüm und Maske, Dekoration und Requisiten, Einstellungskomposition, Kameraperspektive und Kamerabewegung, Montagemuster, Musik und Dialog - als auch über die erzählte Geschichte. Zur filmischen Bezugnahme auf andere Filme zählen auch die Genre-Parodie[12], die (mehr oder wenig historisch getreue) Auseinandersetzung mit der Filmgeschichte, z.B. die Stummfilmzeit[13], oder die Sonderform des Kompilationsfilms[14].

Die zwei wichtigsten filmischen Formen der Bezugnahme, bei denen der Referent ein bestimmter, real existierender Film ist (filmische Intertextualität), kann ich aus Platzgründen nur erwähnen: das Zitat (im Sinne der tatsächlichen Verwendung von Ausschnitten aus einem Film) und die Anspielung (zu Motiven und Funktionen cf. Withalm 1992).

Ein Film über sich selbst - der selbstreflexive filmische Diskurs

Im Gegensatz zu allen bisher genannten Verfahren und Inhalten, ist der Referent der Bezugnahme bei diesen filmischen Texten nicht ein Bereich des Gesamtsystems Film, sondern eben der Film, in dessen Text die Bezugnahme inkorporiert ist, d.h. der Film wird selbst Teil seiner eigenen Diegese. Aber auch hier kann der Raster von Produktion-Distribution-Konsumtion-Produkt zur Systematisierung der vielfältigen Diskurselemente und Fabelelemente herangezogen werden.

Selbstreflexivität 1 - Produktion, oder: Das gefilmte Filmen

Beginnen wir wieder auf der Produktionsseite. Allerdings genügt es zur Qualifizierung als selbstreflexiv nicht mehr, etwa die Handlung in einem Studio anzusiedeln. Es muß vielmehr das Filmen des Filmens dieses Films dargestellt werden, das gezeigte Studio muß eben jenes Studio sein, in dem der Film gerade gedreht wird, wie in den Schlußeinstellungen von Federico Fellinis E la nave va (I 1983). Wenn Personen aus dem Filmteam zu Personen der Handlung werden, so wird uns glaubhaft gemacht, daß an diesem Punkt der Handlung die "reale Welt" dieser Filmproduktion in die Welt des Films eindringt. Und in einigen Filmen von Mel Brooks wird dieses Eindringen zu einer tatsächlichen physischen Konfrontation, die in partieller Zerstörungen der Dekoration Einfluß auf die Filmhandlung nimmt. Es ist die filmende Kamera, die solcherart in den Film eingreift: Am Ende von High Anxiety (USA 1977) sehen wir einen Kuß des frischverheiraten Paares (Brooks und Madeline Kahn) in einem Hotelzimmer. Die Kamera beginnt eine Rückfahrt und in das verliebte Gespräch der beiden platzen zwei off-screen Stimmen: Zuerst kommentiert der eine Mann die Kamerafahrt ("Alright, lash up, and we're coming back nice and slow"), dann ruft der andere aufgeregt aus, "We're going too fast, we gonna hit the wall". Ein lautes Krachen läßt uns, die Zuschauer, und das Paar im Hotelzimmer hochschrecken, der zweite Mann fragt hastig und aufgeregt: "Jes's, what we're gonna do now?" und wird vom ersten beruhigt, "Never mind! Keep pullin' back. Maybe nobody will notice." Und genau das macht der Kameramann. Die Rückfahrt endet mit einem letzten Blick auf das Paar durch ein riesiges Loch in der Wand des Motelzimmers. Es gibt aber nicht nur den Blick durch die filmende Kamera, sondern sogar den Blick durch die filmende Kamera auf die filmende Kamera. Agnes Varda bringt in ihrem Film Jane B. par Agnès Varda (F 1987) mehrfach diesen seltenen Fall des montrer le dispositif (cf. Metz 1991, 86): Jane Birkin spricht vor einem Spiegel und mit der Kamera blicken wir auf die Frau und in den Spiegel, in dem sich die Kamera spiegelt.

Schließlich begegnen wir bei der produktionsseitig orientierten Selbstreflexivität einem Motiv, das sowohl auf der diskursiven Ebene als auch mithilfe der erzählten Geschicht realisiert werden kann: der Film will uns vormachen, daß er gerade erst im Entstehen begriffen ist. The Maltese Bippy (Norman Panama, USA 1969) erzählt eine verrückte Geschichte von zwei Freunden (Dan Rowan und Dick Martin), beide im Filmgeschäft, Werwölfen und einem geheimnisvollen Diamanten. Am Ende, oder besser gesagt: was wir für das Ende halten, haben sich alle Bösewichte gegenseitig getötet und die beiden Männer stehen in einem Zimmer voller Leichen. Plötzlich kommt ein Polizist herein, ruft nach seinem Vorgesetzten, der Rowan und Martin sofort verhaften läßt: "I present the Motion Picture Production Code. You're guilty of excessive violence on film." Der Polizist gibt allen Leichen die Anweisung wieder aufzustehen. Doch die Freunde sind nicht zufrieden, lassen die Kamera anhalten (rund um sie bleibt das Bild stehen) und präsentieren noch zwei Enden mit unterschiedlichen Mördern.

Selbstreflexivität 2 - Distribution, oder: Wo warst du während der Werbung

Aufgrund der Verflechtung von Produktions- und Verleihinstanzen bewegen sich die folgenden Referenzmuster im Grenzbereich zwischen Produktion und Distribution. Dies gilt insbesondere für die Diegetisierung der Logos von großen Studios. Wir sind daran gewöhnt, irgendwann am Beginn des Films die jeweilige Trademark {MGM-Löwe, Paramount-Berg, Universal-Weltkugel) zu sehen, aber sie ist für uns nicht Teil des Films selbst (in den fünf transtextuellen Kategorien nach Genette wären dies Paratexte). Sie können allerdings in die fiktionale Welt des Films hereingeholt werden, wenn sich etwa die Weltkugel mit den sie umkreisenden UNIVERSAL-Buchstaben am Beginn von Last Remake of Beau Geste (Marty Feldman, USA 1976) mit Marty Feldman physisch im selben Raumbefindet und er mit dem Modell herumspielt und es schließlich zerbricht. In Road to Utopia (Hal Walker, USA 1945) taucht der Paramount-Berg inklusive Sternenkranz in der Mitte des Films noch einmal auf: in der Eiswüste von Alaska taucht er plötzlich am Horizont auf und gibt den beiden herumirrenden Helden (Bing Crosby und Bob Hope) neue Hoffnung.

Den beiden anderen Motiven ist gemeinsam, daß sich die Figuren in Filmen oder Fernsehserien ihres Daseins als Figuren in Filmen oder Fernsehserien bewußt sind und Kommentare zur Serie bzw. Fortsetzungen abgeben. Beispiel dafür liefern etwa Dialoge aus der österreichischen Krimiserie Kottan ermittelt (insbesondere aus den zunehmend selbstreferentiellen Folgen der 80er Jahre mit Lukas Resetarits als Kommissar). Mitten in eine Probe von Kottans Kapelle (in der Folge "Die Einteilung") platzt die Nachricht über einen Mord, Resetarits unterbricht und vertröstet die anderen: "Wir probieren später weiter", aber Walter Davy hat seine Zweifel: "In der nächsten Folge." In "Fühlt wie Du" aus 1982 macht Walter Davy einen Rückverweis: "Der Prozeß gegen den Horak - des is der aus der vorletzten Folge - beginnt morgen." Kommentare dieser Art sind aber nicht auf selbstreferentielle Fernsehserien beschränkt. Am Ende des Films Der grüne Bogenschütze (Jürgen Roland, BRD 1960) aus der Edgar Wallace-Serie sind zwar endlich alle Bösewichte unschädlich gemacht, im Park des Anwesens sind aber weiter Schüsse zu hören. Die HeldInnen sind verstört bis ihnen der Journalist erklärt, daß hier nur der nächste Edgar-Wallace-Film gedreht wird.

Manche HeldInnen von Fernsehserien kommentieren nicht nur ihren Serienstatus, sondern sprechen auch über Konventionen des eigenen Networks oder über die Programmstruktur der eben laufenden Episode. Als durchgängig selbstreflexiv ist die US-Serie Moonlighting (ABC) aus den 80er Jahren anzusehen. In der Episode "Portrait of Maddie" (Peter Werner, USA 1985) haben die beiden Hauptfiguren David Addison (Bruce Willis) und Maddie Hayes (Cybill Shepherd) wieder einen ihrer üblichen verbalen Fights. Willis hat den Arm um sie gelegt und macht seine Späße, aber die Frau drängt ihn, "get serious!". Willis meint nur knapp: "Maddie, I just had my hand on your behind. If I get any more serious, they gonna move us to cable." Am Ende von "The Bride of Tupperman" (Christian I. Nyby II & Will MacKenzie, USA 1986) ist der Fall endlich gelöst. Willis erläutert Shepherd und dem Klienten, wie letzterer den Versicherungsbetrug inszeniert hat. Auf die überraschte Frage von Cybil Shepherd, "When did you figure all this out?", erklärt Willis kurz, "During the commercial."

Selbstreflexivität 3 - Konsumtion, oder: Film im Film im Kino

Filmfiguren, die ins Kino gehen, sind wir schon beim Konsumtionsaspekt der Selbstreferentialität begegnet. Was aber, wenn sie ins Kino gehen, um den "eigenen" Film auf der Leinwand zu sehen und so ihr eigene Publikum werden. Nach der verrückten Verfolgungsjagd durch die Studios enden die guten Helden Waco Kid (Gene Wilder) und Bart (Cleavon Little) aus Blazing Saddles (Mel Brooks, USA 1974) am Hollywood Boulevard vor Grauman's Chinese Theater, in dem gerade Blazing Saddles läuft. Nachdem sie den letzten Bösewicht in Notwehr erschossen haben, gehen sie hinein "[to] see the end of the flick".

Das Wissen der Filmfiguren darüber, daß sie Teil eines Films sind, der in einem Kino vorgeführt wird, führt sogar zu Dialogen mit dem Vorführer, wie in H.C. Potter's Hellzapoppin' (USA 1941) oder in Tiger, Frühling in Wien (Peter Patzak, A 1984).

Selbstreflexivität 4 - Produkt, oder: Der Film ist ein Film

Auch bei den selbstreflexiven Textteilen, die am Produkt orientiert sind, gibt es mehrere Motive (ich möchte hier noch einmal daran erinnern, daß alle Motive gemäß der Dominanz des jeweiligen Referenten zu Gruppen geordnet sind, einander aber überschneiden können).

Die verschiedenen Elemente des Films (wie Blende, Untertitel oder grafische Inserts) werden als zum Film gehörig wahrgenommen und gelesen, üblicherweise sind sie gleichzeitig jedoch außerhalb seiner Diegese. Im selbstreflexiven Diskurs können aber auch sie in die fiktionale Welt des Films integriert sein, bis zu dem Punkt, wo die Gestaltungsmittel materiell werden. Als Beispiel sei hier die Irisblende genannt, die über Jahrzehnte ein gängiges Mittel der filmischen Interpunktion darstellte. Wenn wir in Filmen aus den 60er oder 70er Jahren eine sich schließende Irisblende sehen, sind wir bereits verhalten, sie als bewußt eingesetztes Stilmittel des Regisseurs zu interpretieren, vielleicht in bezug auf die Zeit der Filmhandlung. Bei einem Beispiel aus Last Remake of Beau Geste - der Iris-Abblende einer Großaufnahme von Feldman - scheint diese Erklärung im ersten Moment auszureichen, allerdings nur solange, bis Feldman verzweifelt versucht, die Iris aufzuhalten und seinen Kopf durchsteckt, um seine Abschiedsworte zu beenden.

Eine leicht decodierbare Auto-Bezugnahme ist die Vervielfachung des Bildes - der Blick auf Leinwand oder Monitor eröffnet eine endlose Abfolge von Bild im Bild im Bild ... - wie sie Mel Brooks in Spaceballs vorführt. Der Raumschiffkommandant will herausfinden, wo sich die schöne Prinzessin versteckt und sein erster Offizier weiß Rat: "instant video cassettes", die schon im Entstehen des Films am Markt sind. Die Spaceballs-Kassette wird eingelegt, und nach einem Bildsuchlauf erscheint auf dem Monitor des Raumschiffs exakt das Bild der Personen vor dem Monitor, der die Personen vor dem Monitor zeigt, usw. wie es gerade auf der Leinwand zu sehen ist (oder - noch eindeutiger auf unserem Fernsehschirm).

Bei Filmen, die aus mehreren handlungsmäßig voneinander getrennten Episoden bestehen, treten die Figuren nur in ihrer jeweiligen Episode auf, mitunter wird diese Trennung zwischen den Teilen allerdings aufgehoben, wie in History of the World - Part I (Mel Brooks, USA 1981) oder in Amazon Women in the Moon (Joe Dante, Carl Gottlieb, Peter Horton, John Landis, Robert K. Weiss; USA 1987). Murray (Lou Jacobi), der Held der 3. Episode von Amazone Women ("Murray in Videoland", Robert K. Weiss) sitzt im Pyjama vor dem Fernseher und möchte nur in Ruhe die halbnackten Tänzerinnen einer Show sehen, seine Frau kommt jedoch dauernd ins Zimmer und er muß mit der Fernbedienung ständig den Kanal wechseln. Als er versehentlich die Fernbedienung auf sich statt auf den Fernseher richtet, wird er in den Fernseher hineinversetzt. Seine Frau erkennt ihn auf dem Bildschirm und versucht ihn mithilfe der Fernbedienung zurückzuholen, versetzt ihn aber nur in das jeweils laufende Programm: eben noch in einem Baseballspiel, landet er in den Armen von King Kong. Und sein Auftritt ist damit nicht zu Ende, denn später taucht er in seinemPyjama in zwei weiteren Episoden auf: im titelgebenden SciFi-Streifen Amazon Women in the Moon (Robert K. Weiss) und in Son of the Invisible Man (Carl Gottlieb).

Die Aussage in der Überschrift dieses Abschnitts - "der Film ist ein Film" - scheint auf den ersten Blick als unnötige Festhaltung eines offensichtlichen Sachverhalts. Natürlich weiß jede und jeder, daß sie oder er einen Film sieht, aber üblicherweise wollen uns Filme genau dies vergessen lassen, sie wollen uns in ihre fiktionale Welt hineinziehen - mit Ausnahme von jenen wenigen Filmen, die uns mehrfach genau an ihr "Film-Sein" erinnern. Diese Hinweise erfolgen meist am Anfang über Inserts (z.B. Hellzapoppin') oder Dialogzeilen (The Maltese Bippy oder The Great Muppet Caper (Jim Henson; UK 1981) bzw. visuell am Ende - etwa wieder über die Diegetisierung des "Ende"-Inserts (Der Mönch mit der Peitsche, Alfred Vohrer, BRD 1967; Das indische Tuch, Alfred Vohrer, BRD 1963) oder mithilfe von Outtakes während der Endcredits (Smokey and the Bandits, Hal Needham, USA 1980).

Anders bei La tarea (Jaime Humberto Hermosito, Mexico 1991), ein Film, der uns während seines Ablaufs immer wieder darauf aufmerksam macht, daß wir einen Film sehen. Die Selbstreflexivität wird hier sowohl auf der inhaltlichen als auch auf der diskursiven Ebene etabliert. Eine Frau will als Abschlußarbeit für die Filmhochschule mit versteckter Kamera einen Abend mit ihrem Ex-Liebhaber aufnehmen, und wir sehen alles nur durch das Objektiv dieser einen Kamera. Nicht nur die ungewöhnliche Perspektive erinnert uns ständig daran (die Kamera steht auf einem Stoß Bücher unter einem Tisch): als der Mann die Kamera entdeckt, wirft er sie wütend zu Boden, und in den folgenden Minuten ist das Bild extrem verkantet.

Die komplexeste (und seltenste) Form eines selbstreflexiven Filmtexts führt uns am Ende des Films in einer rückbezüglichen Schleife wieder an seinen Anfang zurück. Das eindeutigste Beispiel ist hier Wes Craven's New Nightmare (Wes Craven, USA 1994). Zu Beginn erhält Heather Langenkamp (gespielt von Heather Langenkamp, der Darstellerin der Nancy in ersten und dritten Nightmare-Film) das Angebot, eine allerletzte Fortsetzung zu drehen. In der Folge passieren merkwürdige Vorfälle: wie in den Filmen verfolgt Freddy sie und ihren kleinen Sohn in den Träumen, Wes Craven selbst und Robert Englund (gespielt von Robert Englund, dem Darsteller des Freddy) scheint es ähnlich zu gehen. Im Traum gelingt es ihr schließlich, Freddy mithilfe des neuen Drehbuchs zu besiegen. Zurück im Schlafzimmer findet sie das Script im Bett und beginnt laut zu lesen, und die Eröffnungseinstellung beschreibt exakt jene Einstellung, mit der der Film begonnen hat...
 

Literatur

Ames, Christopher (1997): Movies About the Movies. Hollywood Reflected. Lexington, KY: The University Press of Kentucky

Anderson, Patrick Donald (1978): In Its Own Image. The Cinematic Vision of Hollywood. New York: Arno Press

Block de Behar, Lisa (1984): Les fonctions de la communication cinématographique. In: Borbé, Tasso (Hg.). Semiotics Unfolding. Proceedings of the Second Congress of the International Association for Semiotic Studies, Vienna 1979, Berlin: Mouton, vol. III, 1591-1597

Blüher, Dominique (1988): Première approche du cinéma dans le cinéma. Paris: Université de Paris III, mémoire de D.E.A.

Blüher, Dominique (1994): Am Anfang war das Dispositiv. Film und Kritik 2/1994, 66-70.

Brunsdon, Charlotte/Morley, David (1978): Everday Television: "Nationwide" (= BFI Television Monographs 10). London: British Film Institute

Feuer, Jane (1983): The Concept of Live Television: Ontology as Ideology. In: Kaplan 1983, 12-21

Gerstenkorn, Jacques (Hg.) (1987): Le cinéma au miroir [= Vertigo 1]

Horton, Andrew/McDougal, Stuart V. (1998): Play It Again, Sam. Retakes on Remakes. Berkeley-Los Angeles: University of California Press

Kaplan, E. Ann (Hg.) (1983): Regarding Television: Critical Approaches. An Anthology (= The American Film Institute Monograph Series 2). Frederick, MD: University Publications of America

Metz, Christian (1991): L'énonciation impersonelle, ou le site du film. Paris: Méridiens Klincksieck

Parish, James Robert/Pitts, Michael R./Mank, Gregory W. (1978): Hollywood on Hollywood. Metuchen, NJ-London: Scarecrow Press

Rossi-Landi, Ferruccio (1985): Metodica filosofica e scienza dei segni. Nuovi saggi sul linguaggio e l'ideologia (= Studi Bompiani - Il campo semiotico). Milano: Bompiani

Schaefer, Horst (1985): Film im Film. Selbstporträts der Traumfabrik. Frankfurt/M.: Fischer

Schleicher, Harald (1991): Filmreflexionen. Autothematische Filme von Wim Wenders, Jean-Luc Godard und Federico Fellini. Tübingen: Niemeyer

Selbstreflexivität im Film = Film und Kritik 2/1994

Stam, Robert (1983): Television News and Its Spectators. In: Kaplan 1983, 23-43

Stam, Robert (1985[1992]): Reflexivity in Film and Literature. From Don Quixote to Jean-Luc Godard. New York: Columbia University Press [1st ed.: Ann Arbor. MI: University of Michigan Research Press 1985]

Withalm, Gloria (1992): Von Duschen, Kinderwägen und Lüftungsschächten. Eine Bestandsaufnahme zu den Methoden des Verweises im Film. Zeitschrift für Semiotik 14(3), 199-224

Withalm, Gloria (1993): Die Felder des intertextuellen/autoreferentiellen Verweises im Film. Semiotische Berichte 17(3,4), 369-392

Withalm, Gloria (1995a): Fernsehen im Fernsehen im Fernsehen... Selbstreferentielle Zeichenprozesse (= S-Labor. 4/5/6/7). Wien: ÖGS/ISSS

Withalm, Gloria (1995b): The Same Dress - Another Character. Costume as a Self-Referential Device in Movies". In: Tasca, Norma (Hg.). Ensaios em homagem a / Essays in Honor of Thomas A. Sebeok (= Cruzeiro Semiotico 22-25), 225-232

Withalm, Gloria (1997): "How did you find us?" - "We read the script!": A special case of self-reference in the movies. In: Nöth, Winfried (Hg.). Semiotics of the Media. State of the Art, Projects, and Perspectives (= Approaches to Semiotics). Berlin-New York: Mouton de Gruyter, 255-267


Copyright © 1999/2000 Gloria Withalm, <gloria.withalm@uni-ak.ac.at>   [ Home Page | Aufsätze/Articles – online

Created: 20 August 2000, Last Update 22 September 2003